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Sonntag, 29. April 2018

Tolle Bescherung (Ganze Geschichte)

Foto: Cindy Kürschner

Na prima, das kann auch nur wieder mir passieren.
Dabei lief es doch bis jetzt so gut. Es ist Mitte November und ich habe tatsächlich schon alle Weihnachtsgeschenke zusammen. Nur für meinen Bruder war ich gerade noch eben schnell einen Wein einkaufen. Ich weiß, einfallslos, aber was soll man schon seinem älteren Bruder schenken, wenn man diesen eigentlich kaum kennt? Nun ja, da stand ich nun mit meinem Wein und dieser Trottel rennt tatsächlich in mich hinein. Die Flasche landet auf dem Boden und versaut mir auch noch meine neuen Stiefel. Bevor ich anfangen kann ihn anzuschreien, legt er mir seine Hand auf den Mund und sagt „Erst einmal ruhig durchatmen.“  Tzz, was denk sich dieser Idiot eigentlich. Als ich ihm dann ziemlich feste in den Daumen beiße, lässt er schnell wieder los und klatscht mir eine mitten ins Gesicht. Da merk ich auch schon einen kleinen Schubser und beobachte wie in Zeitlupe, wie der Typ vor mir auf dem Boden landet. Bin ich gerade im Film? Eine ältere Frau kommt auf mich zu. „Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“  Ich blicke von dem Typen zu ihr und erst jetzt fällt mir auf, dass ein anderer sein Bein auf der Brust des Typen gedrückt hat, um ihn auf dem Boden zu halten. Anscheinend kam der Schubser gerade von ihm. „Ja, alles ok.“  „Möchten sie eine Anzeige machen?“  „Nein, nein. Er soll einfach nur verschwinden.“  Mein Retter bückt sich und hilft dem Typen auf. „Sieh zu, dass du weg kommst.“  Dieser guckt mich böse an und geht dann in Richtung Stadt davon.
Mein Retter kommt auf mich zu und will mir anscheinend seine Hand ins Gesicht legen, aber sofort schrecke ich zurück. Der Schock sitzt wohl doch ordentlich. „Chris, erschreck sie doch nicht noch mehr.“  Anscheinend kennen sich die ältere Dame und mein Retter. „Entschuldigung. Ich wollte dir nichts tun. Ich wollte nur gucken, wie deine Wange aussieht.“  Schnell nimmt er seine Hand wieder runter. „Mum, hast du irgendwas zum kühlen?“  Aha, Mutter und Sohn also. „Moment, ich guck mal.“  „Ist schon ok, ich werde jetzt direkt nach Hause fahren und mir nen Kühlpack draufpacken. Aber vielen lieben Dank! Ihnen beiden! Sie haben mir wirklich sehr geholfen.“  Ich schenke beiden ein Lächeln. „Kindchen, du kannst auf keinen Fall jetzt allein nach Hause fahren. Chris, nimm das Auto und bring sie heim.“  Schon ist mein Retter, ähm Chris, dabei die Autoschlüssel zu suchen. „Nein, nein. Das ist wirklich nicht nötig. Ich komm schon allein zurecht.“  „Ja, das haben wir grad gesehen. Meine Mum hat recht, ich werde Sie nach Hause fahren.“  Freundlich lächelt er mich an. „Und ich dulde jetzt keine Wiederworte mehr.“  Tja, dann wird ich mich wohl geschlagen geben müssen. Und mir könnte schlimmeres passieren, als von Chris nach Haus gebracht zu werden. Wenn ichs mir genau überlege, ist Chris wirklich ein sehr charmanter Typ. Nicht auf die aufdringlich-hübsche-weise, sondern auf die natürliche-weise. „Ok, dann nehme ich dankend an.“  Seine Mum schenkt mir ein lächeln und drückt mir eine Tafel Schokolade in die Hand. „Ich wünsch dir alles gute Kindchen. Vielleicht sehen wir uns ja schneller wieder, als du denkst.“  Sie drückt ihrem Sohn noch einen Kuss auf die Wange und verschwindet in der Menge.

Chris bittet mich, ihm zu folgen. "Ähm, ich bin übrigens Chris. Und du?" Ein vorsichtiges Lächeln spiegelt sich auf seinem Gesicht als er mich fragend anschaut. "Ich bin Hannah. Freut mich." Bei seinem Auto angekommen hält er mir die Beifahrerseite auf. "Könntest du schon mal die Adresse ins Navi eingeben?" "Klar, kein Problem." Als er eingestiegen ist und den Motor startet, muss ich an seine Mum denken. "Wie kommt deine Mutter jetzt eigentlich nach Hause? Ihr seid doch bestimmt zusammen hergekommen, oder?" "Ach, meine Mum nimmt den Zug. Sie muss ja nur eine Station fahren und kennt sich gut aus. Mach dir um sie keine Sorgen." Er schaut kurz auf meine Stiefel. "Um die solltest dir dir allerdings Sorgen machen, die sehen ganz schön mitgenommen aus." Vorsichtig schaue ich mir das Unheil an. "Ja, zu Weihnachten werde ich die wohl nicht mehr tragen können. Aber für die Arbeit reicht es so gerade noch." Während ich spreche beobachtet er mich und es irritiert mich, dass ich merke, dass es mir gefällt. Erst als er anfängt zu lachen und aussteigt merke ich, dass wir bereits angekommen sind. Das lässt mich nur noch mehr erröten. Was er zum Glück nicht mehr sieht, da er seine Tür bereits geschlossen hat. Tatsächlich öffnet er auch dieses Mal wieder die Beifahrerseite. Das erste Mal schauen wir uns direkt in die Augen und die Zeit scheint still zu stehen. Wie heiße ich noch mal? Wo wollte ich hin? Kann dieser Moment bitte einfach nie enden....

Ich habe das Gefühl, dass sein Gesicht immer näherkommt und spüre, wie sich seine Hand auf meine Wange legt. Bei dieser Berührung zucke ich etwas zurück und zerstöre somit unseren Moment. Er räuspert sich. „Ich bringe dich noch bis zu deiner Wohnung und fahre dann wieder.“ Hm, will er, dass ich ihm widerspreche? Aber das werde ich nicht machen. Der Moment der Schwäche ist vorbei und ich weiß wieder, dass ich keinen Kerl mehr in mein Leben lassen wollte. „Ich kann schon alleine gehen. Ich denke, du hast mir wirklich schon genug geholfen. Also vielen Dank noch mal und liebe Grüße an deine Mutter. Ich wünsche euch ein schönes Weihnachtsfest.“ Die Zeit seiner Verwirrung nutze ich um schnell zu meiner Wohnung zu gehen. Und er hält mich nicht auf, aber er fährt auch nicht weg. Erst als ich die Wohnung betreten habe höre ich die Autotür und wie der Motor startet. Tja, genau so wollte ich es doch haben…ja, genau so…oder…doch, wollte ich. Ich gehe also ins Bad um zu retten was noch zu retten ist und schmeiße die Stiefel dann doch nur in die Ecke. Scheiße. Idiot. Ich mein, wer hält einem denn heutzutage noch die Türe auf oder kommt einem auf der Straße zur Hilfe?! Shit, verkackt. Aber bald ist Weihnachten, vielleicht werde ich nur sentimental. Und mit Nils bin ich ja nun wirklich schon gestraft genug. Also keine weiteren Kerle. Doch dieser Moment mit Chris geht doch nicht so schnell aus meinem Kopf, wie ich dachte.

In den nächsten Wochen muss ich immer wieder an Chris denken. Vielleicht bin ich doch etwas übers Ziel hinausgeschossen als ich ihn so harsch verabschiedete. Der nächste Versuch ein Geschenk für meinen Bruder zu besorgen klappte ohne Zwischenfall und das stimmte mich doch auch ein wenig wehmütig. Wieso muss ich auch immer noch an alte Geschichten denken und Rücksicht auf Nils nehmen? Nils scheint inzwischen klar zu kommen und unsere Zusammentreffen gestalten sich schon fast familiär. Beim nächsten Kribbeln werde ich keine Rückzieher mehr machen, das bin ich mir selbst schuldig. Und als ob mein Vater es in meinen Gedanken gelesen hätte, sprach er mich ein paar Tage vorm Weihnachtsfest an. „Schatz, was beschäftigt dich? Doch nicht immer noch Nils?“ Mein Blick schien seine Frage zu bestätigen. „Du kannst damit aufhören dir deswegen Gedanken zu machen. Nils wird an Weihnachten seine neue Freundin mitbringen.“ Und jetzt komme ich mir wirklich dumm vor. Ich stelle mich selbst zurück um meinen Stiefbruder nicht weiter zu verletzen, dabei ist er schon viel weiter als ich. Ich muss meinen Dad einfach umarmen. „Danke Dad.“ „Schatz, deine Rücksichtnahme ist wundervoll, aber nun such dir DEIN Glück.“ Wie schade, dass ich das mit Chris nun schon versäumt habe. Ich meine, wie viele Helden trifft man heute noch und dann auch noch einen, der eine nette Mum hat?! Vielleicht wünsche ich mir dieses Jahr mal wieder etwas vom Christkind.

Heilig Abend mache ich mich auf den Weg zu meiner Familie. Das Treffen mit Nils und seiner neuen Freundin ist tatsächlich sehr nett. Luisa ist ein tolles Mädchen und ihr erstes Erlebnis mit Nils scheint schicksalshaft gewesen zu sein. Ich meine, dass die beiden sich nach ihrer kurzen Begegnung im Bus wirklich wiedergetroffen haben, ist doch wohl ein Zeichen. Als wir das Essen vorbereiten wollen, fällt mir auf, das ich vergessen habe, die Knödel mitzubringen. Mein Dad springt sofort ein und macht sich auf den Weg zu meiner Wohnung. Währenddessen treiben wir drei Frauen uns in der Küche herum und Nils holt den Weihnachtsschmuck aus dem Keller. Trotz der Gesellschaft habe ich das Gefühl, das mir etwas fehlt, das mir JEMAND fehlt. Als die Haustür sich öffnet gehe ich meinem Dad entgegen, um ihm das Essen abzunehmen. Aber mein Vater hat garnichts in der Hand. Irritiert schaue ich ihn an. Selten habe ich meinen Dad so strahlen gesehen. Er geht einen Schritt zur Seite und lässt noch jemanden herein. Direkt treffen sich unsere Augen und die Zeit scheint wieder still zu stehen. Chris scheint auf mich zuzukommen und dieses mal zucke ich nicht als er seine Hand nach mir ausstreckt. Er streichelt meine Wange und unsere Lippen treffen sich. Noch nie in meinem Leben hatte ich dieses Gefühl das mich nun trifft – ich bin vollständig.        
Wir hatten eine tolle Bescherung und verbrachten die nächsten Tage, Wochen, Monate und Jahre gemeinsam….gelegentlich mit einer Flasche Wein.


Fin



Wenn euch die Kurzgeschichte gefallen hat, würde ich mich über positives Feedback sehr freuen :)
Und wenn es euch nicht so gut gefallen hat, könnt ihr mir auch gern konstruktive Kritik geben ;)

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