Foto: Cindy Kürschner
Na prima, das kann auch nur wieder mir
passieren.
Dabei lief es doch bis jetzt so gut. Es ist Mitte November und ich
habe tatsächlich schon alle Weihnachtsgeschenke zusammen. Nur für meinen Bruder
war ich gerade noch eben schnell einen Wein einkaufen. Ich weiß, einfallslos,
aber was soll man schon seinem älteren Bruder schenken, wenn man diesen
eigentlich kaum kennt? Nun ja, da stand ich nun mit meinem Wein und dieser
Trottel rennt tatsächlich in mich hinein. Die Flasche landet auf dem Boden und
versaut mir auch noch meine neuen Stiefel. Bevor ich anfangen kann ihn
anzuschreien, legt er mir seine Hand auf den Mund und sagt „Erst einmal ruhig
durchatmen.“ Tzz, was denk sich dieser
Idiot eigentlich. Als ich ihm dann ziemlich feste in den Daumen beiße, lässt er
schnell wieder los und klatscht mir eine mitten ins Gesicht. Da merk ich auch
schon einen kleinen Schubser und beobachte wie in Zeitlupe, wie der Typ vor mir
auf dem Boden landet. Bin ich gerade im Film? Eine ältere Frau kommt auf mich zu. „Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“ Ich
blicke von dem Typen zu ihr und erst jetzt fällt mir auf, dass ein anderer sein
Bein auf der Brust des Typen gedrückt hat, um ihn auf dem Boden zu halten.
Anscheinend kam der Schubser gerade von ihm. „Ja, alles ok.“ „Möchten sie eine Anzeige machen?“ „Nein, nein. Er soll einfach nur
verschwinden.“ Mein Retter bückt sich
und hilft dem Typen auf. „Sieh zu, dass du weg kommst.“ Dieser guckt mich böse an und geht dann in
Richtung Stadt davon.
Mein Retter kommt auf mich zu und will mir
anscheinend seine Hand ins Gesicht legen, aber sofort schrecke ich zurück. Der
Schock sitzt wohl doch ordentlich. „Chris, erschreck sie doch nicht noch
mehr.“ Anscheinend kennen sich die
ältere Dame und mein Retter. „Entschuldigung. Ich wollte dir nichts tun. Ich
wollte nur gucken, wie deine Wange aussieht.“
Schnell nimmt er seine Hand wieder runter. „Mum, hast du irgendwas zum
kühlen?“ Aha, Mutter und Sohn also.
„Moment, ich guck mal.“ „Ist schon ok,
ich werde jetzt direkt nach Hause fahren und mir nen Kühlpack draufpacken. Aber
vielen lieben Dank! Ihnen beiden! Sie haben mir wirklich sehr geholfen.“ Ich schenke beiden ein Lächeln. „Kindchen, du
kannst auf keinen Fall jetzt allein nach Hause fahren. Chris, nimm das Auto und
bring sie heim.“ Schon ist mein Retter,
ähm Chris, dabei die Autoschlüssel zu suchen. „Nein, nein. Das ist wirklich
nicht nötig. Ich komm schon allein zurecht.“
„Ja, das haben wir grad gesehen. Meine Mum hat recht, ich werde Sie nach
Hause fahren.“ Freundlich lächelt er mich
an. „Und ich dulde jetzt keine Wiederworte mehr.“ Tja, dann wird ich mich wohl geschlagen geben
müssen. Und mir könnte schlimmeres passieren, als von Chris nach Haus gebracht
zu werden. Wenn ichs mir genau überlege, ist Chris wirklich ein sehr charmanter
Typ. Nicht auf die aufdringlich-hübsche-weise, sondern auf die
natürliche-weise. „Ok, dann nehme ich dankend an.“ Seine Mum schenkt mir ein lächeln und drückt
mir eine Tafel Schokolade in die Hand. „Ich wünsch dir alles gute Kindchen.
Vielleicht sehen wir uns ja schneller wieder, als du denkst.“ Sie drückt ihrem Sohn noch einen Kuss auf die
Wange und verschwindet in der Menge.
Chris bittet mich, ihm zu folgen. "Ähm, ich bin
übrigens Chris. Und du?" Ein vorsichtiges Lächeln spiegelt sich auf seinem
Gesicht als er mich fragend anschaut. "Ich bin Hannah. Freut mich."
Bei seinem Auto angekommen hält er mir die Beifahrerseite auf. "Könntest
du schon mal die Adresse ins Navi eingeben?" "Klar, kein
Problem." Als er eingestiegen ist und den Motor startet, muss ich an seine
Mum denken. "Wie kommt deine Mutter jetzt eigentlich nach Hause? Ihr seid
doch bestimmt zusammen hergekommen, oder?" "Ach, meine Mum nimmt den
Zug. Sie muss ja nur eine Station fahren und kennt sich gut aus. Mach dir um
sie keine Sorgen." Er schaut kurz auf meine Stiefel. "Um die solltest
dir dir allerdings Sorgen machen, die sehen ganz schön mitgenommen aus."
Vorsichtig schaue ich mir das Unheil an. "Ja, zu Weihnachten werde ich die
wohl nicht mehr tragen können. Aber für die Arbeit reicht es so gerade
noch." Während ich spreche beobachtet er mich und es irritiert mich, dass
ich merke, dass es mir gefällt. Erst als er anfängt zu lachen und aussteigt
merke ich, dass wir bereits angekommen sind. Das lässt mich nur noch mehr
erröten. Was er zum Glück nicht mehr sieht, da er seine Tür bereits geschlossen
hat. Tatsächlich öffnet er auch dieses Mal wieder die Beifahrerseite. Das erste
Mal schauen wir uns direkt in die Augen und die Zeit scheint still zu stehen. Wie heiße ich noch mal? Wo wollte ich hin?
Kann dieser Moment bitte einfach nie enden....
Ich habe das Gefühl, dass sein Gesicht immer näherkommt
und spüre, wie sich seine Hand auf meine Wange legt. Bei dieser Berührung zucke
ich etwas zurück und zerstöre somit unseren Moment. Er räuspert sich. „Ich bringe
dich noch bis zu deiner Wohnung und fahre dann wieder.“ Hm, will er, dass ich
ihm widerspreche? Aber das werde ich nicht machen. Der Moment der Schwäche ist
vorbei und ich weiß wieder, dass ich keinen Kerl mehr in mein Leben lassen
wollte. „Ich kann schon alleine gehen. Ich denke, du hast mir wirklich schon
genug geholfen. Also vielen Dank noch mal und liebe Grüße an deine Mutter. Ich
wünsche euch ein schönes Weihnachtsfest.“ Die Zeit seiner Verwirrung nutze ich
um schnell zu meiner Wohnung zu gehen. Und er hält mich nicht auf, aber er
fährt auch nicht weg. Erst als ich die Wohnung betreten habe höre ich die
Autotür und wie der Motor startet. Tja, genau so wollte ich es doch haben…ja,
genau so…oder…doch, wollte ich. Ich gehe also ins Bad um zu retten was noch zu
retten ist und schmeiße die Stiefel dann doch nur in die Ecke. Scheiße. Idiot.
Ich mein, wer hält einem denn heutzutage noch die Türe auf oder kommt einem auf
der Straße zur Hilfe?! Shit, verkackt. Aber bald ist Weihnachten, vielleicht werde
ich nur sentimental. Und mit Nils bin ich ja nun wirklich schon gestraft genug.
Also keine weiteren Kerle. Doch dieser Moment mit Chris geht doch nicht so
schnell aus meinem Kopf, wie ich dachte.
In den nächsten Wochen muss ich immer wieder an Chris
denken. Vielleicht bin ich doch etwas übers Ziel hinausgeschossen als ich ihn
so harsch verabschiedete. Der nächste Versuch ein Geschenk für meinen Bruder zu
besorgen klappte ohne Zwischenfall und das stimmte mich doch auch ein wenig wehmütig.
Wieso muss ich auch immer noch an alte Geschichten denken und Rücksicht auf
Nils nehmen? Nils scheint inzwischen klar zu kommen und unsere Zusammentreffen
gestalten sich schon fast familiär. Beim nächsten Kribbeln werde ich keine
Rückzieher mehr machen, das bin ich mir selbst schuldig. Und als ob mein Vater
es in meinen Gedanken gelesen hätte, sprach er mich ein paar Tage vorm
Weihnachtsfest an. „Schatz, was beschäftigt dich? Doch nicht immer noch Nils?“
Mein Blick schien seine Frage zu bestätigen. „Du kannst damit aufhören dir
deswegen Gedanken zu machen. Nils wird an Weihnachten seine neue Freundin mitbringen.“
Und jetzt komme ich mir wirklich dumm vor. Ich stelle mich selbst zurück um
meinen Stiefbruder nicht weiter zu verletzen, dabei ist er schon viel weiter
als ich. Ich muss meinen Dad einfach umarmen. „Danke Dad.“ „Schatz, deine Rücksichtnahme
ist wundervoll, aber nun such dir DEIN Glück.“ Wie schade, dass ich das mit
Chris nun schon versäumt habe. Ich meine, wie viele Helden trifft man heute
noch und dann auch noch einen, der eine nette Mum hat?! Vielleicht wünsche ich
mir dieses Jahr mal wieder etwas vom Christkind.
Heilig Abend mache ich mich auf den Weg zu meiner
Familie. Das Treffen mit Nils und seiner neuen Freundin ist tatsächlich sehr
nett. Luisa ist ein tolles Mädchen und ihr erstes Erlebnis mit Nils scheint
schicksalshaft gewesen zu sein. Ich meine, dass die
beiden sich nach ihrer kurzen Begegnung im Bus wirklich wiedergetroffen haben,
ist doch wohl ein Zeichen. Als wir das Essen vorbereiten wollen, fällt mir auf,
das ich vergessen habe, die Knödel mitzubringen. Mein Dad springt sofort ein
und macht sich auf den Weg zu meiner Wohnung. Währenddessen treiben wir drei
Frauen uns in der Küche herum und Nils holt den Weihnachtsschmuck aus dem
Keller. Trotz der Gesellschaft habe ich das Gefühl, das mir etwas fehlt, das
mir JEMAND fehlt. Als die Haustür sich öffnet gehe ich meinem Dad entgegen, um
ihm das Essen abzunehmen. Aber mein Vater hat garnichts in der Hand. Irritiert
schaue ich ihn an. Selten habe ich meinen Dad so strahlen gesehen. Er geht
einen Schritt zur Seite und lässt noch jemanden herein. Direkt treffen sich
unsere Augen und die Zeit scheint wieder still zu stehen. Chris scheint auf
mich zuzukommen und dieses mal zucke ich nicht als er seine Hand nach mir
ausstreckt. Er streichelt meine Wange und unsere Lippen treffen sich. Noch nie
in meinem Leben hatte ich dieses Gefühl das mich nun trifft – ich bin
vollständig.
Wir hatten eine tolle Bescherung und verbrachten die
nächsten Tage, Wochen, Monate und Jahre gemeinsam….gelegentlich mit einer
Flasche Wein.
Fin
Wenn euch die Kurzgeschichte gefallen hat, würde ich mich über positives Feedback sehr freuen :)
Und wenn es euch nicht so gut gefallen hat, könnt ihr mir auch gern konstruktive Kritik geben ;)
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